Samstag vormittag, der Mann ist mit den Kindern zuhause. Ich bin auf zweistündigem Shoppingtrip, der keinen Spaß macht, weil nichts passt – daher Kaffee- und Kuchenpause im Starbucks. Mein Blick wandert nach rechts. Drei über 50-Jährige sitzen gemütlich mit ihren Kaffeebechern am Tisch und erzählen sich Geschichten. Sie sehen zufrieden aus. Mein Blick wandert nach links. Eine junge Mutter Anfang 30, mit Kinderwagen, aus dem es brüllt, tippt panisch in ihr Handy, während sie an ihrem Cappuccino nippt. Sie sieht verzweifelt aus. Zu wem von beiden soll ich gehen, um mich über London auszukotzen, was mich heute Morgen mit all den dichten Straßen und gehetzten Menschen mal wieder dermaßen auf die Palme bringt?
Ich schaue auf das Meer auf einem Poster an der Wand und habe die Hoffnung, dass sich das Wasser öffnet und eine unheimlich liebe, alte, weise Frau sich daraus erhebt, mir die Hände auf die Schultern legt und sagt, dass alles gut wird. Wie unheimlich schön und vielversprechend ich die Stadt fand, als ich vor drei Jahren hierherzogen bin. So eng und festgefahren kam mir alles in Dresden vor. So oberflächlich in Stuttgart. So spanisch in Barcelona. So dreckig in Berlin. London dachte ich, kann es sein und bleiben, so damals der Plan.
Seit ich 18 bin, ziehe ich spätestens alle 18 Monate um. Rastlos sagen viele, auf der Suche, meinen andere. Für mich hat es sich nie so angefühlt. Ich hatte für jeden neuen Lebensstandort die passende Erklärung und an genug Energie für die Umsetzung hat es nie gefehlt. Mit 17 Jahren, als ich im Keller Kassetten aufnahm und heimlich rauchte, dachte ich, das wahre Leben beginnt, wenn meine beste Freundin und ich vom Dorf nach Berlin ziehen. Als ich ein Jahr später arbeitslos und verkatert in Hauptstädter WGs abhing, war ich felsenfest davon überzeugt, dass mir ein Studium im Schwabenland die fehlende Sicherheit liefern würde.
Im Alter von 20 bis 24 quäle ich mich also in Stuttgart durch einen Wirtschaftsstudiengang, dessen Highlight das Auslandssemester in Barcelona war. Danach tingele ich auf Entdeckungsreise durch Südostasien, tanze barfuß am Strand, fahre mit einem alten Moped über fremde Inseln und schlafe mit internationalen Männern. Doch als ich die Tage immer langsamer angehe und Geld ausgebe, das ich nicht habe und meinen Freunden in den doch so vielen einsamen Momenten über WhatsApp mit meinem neuen Carpe-Diem-Lebensgefühl so langsam auf die Nerven gehe, geht es zurück nach Deutschland. Dort kreuzt parallel zur neuen 40-Stundenwoche und festen Pausenzeiten die letzte Begegnung aus Bangkok regelmäßig bei mir auf.
Nach einem Jahr Fernbeziehung verscherbel ich mein Hab und Gut, packe meinen Koffer und buche ein One-Way-Ticket zu ihm nach London. Manche testen ihre Beziehung dann mehrere Jahre und beginnen einen Bausparplan. Wir zeugten in den ersten 14 Tagen nach meiner Ankunft ein neues Leben. So weit, so gut. Doch zwei Jahre und zwei Umzüge innerhalb Londons später, ist das zweite Kind und die innere Unruhe wieder da und ich stelle erschreckend fest, dass ich immer öfter an Deutschland denke, vor allem an meine Mum und meine Oma. Ich fühle mich lost wie Carrie aus „Sex and the City“ in Paris am Ende der achten Staffel. Nur eben nicht in Paris, sondern im kalten, grauen, nassen London. Und eben nicht in kleinen fancy Cafés oder bei Dior, sondern mit zwei Schreihälsen abwechselnd bei Starbucks oder im TK Maxx. Bin ich nach all den Jahren Hin und Her in London gelandet, um herauszufinden, dass ich eigentlich in Sachsen leben will? Ja, es ist alles krass teuer hier und der Smog ist übel, aber doch immer noch tausend Mal besser als Sächsisch, oder?
Doch wenn ich ganz ehrlich bin, macht das Familienmodel meiner Freunde in Deutschland zumindest aus der Ferne am Telefon mehr Sinn, als das, womit wir uns hier manchmal rumärgern. Und die Vorstellung von bezahlbarer Kitas, einem Haus im Grünen und meinen Eltern als potenzielle Babysitter in der Nähe, klingt auf dem Papier schmackhafter als meine aktuelle Idee, bis zur Einschulung des ersten Kindes nach Ghana zu gehen. Und ich ignoriere mein Herz, das bei der Vorstellung von der Lehrerstelle in Accra und Nachmittagen mit den Kids am Strand laut schlägt und wild hüpft und wir entscheiden uns für den vernünftigen Gewinner der Pro-und Kontraliste: Deutschland.
Mal schauen, ob da wirklich alles besser organisiert ist als hier und es uns im Alltag als Familie mehr Zufriedenheit verschafft. Stolz werden wir alle mal sein, dass wir nicht in Central London geblieben sind, was nur Sinn ergibt, wenn man reich, Single oder 25 ist, sondern für unsere Jungs „was Besseres“ wollten und es angegangen sind, auch wenn das erstmal hart war. Das Meer auf dem Plakat hat sich immer noch nicht geöffnet. Aber als die junge Frau mit Kinderwagen von links aufsteht und geht, wirft sie mir ein optimistisches Lächeln zu.
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