Familientreffen mit Hindernissen

Freitag Abend allein im Bett. Ich sehe diesen französischen Film von Julie Delphi. Eine große französische Familie trifft im Sommer zusammen. Alle laut, alles Querköpfe, alles durcheinander, Schläge, Essen, Regen, alte Omas, Schach-spielende Männer, meckernde Frauen.
Ich sehe diesen französischen Film und denke an die letzte Zeit. Das Jahr voller Arbeit und der großen Trennung. Überall nur ein Teil. Nirgendwo ein Ganzes. Und die letzten Tage bei der Familie mehr als desillusionierend.
Ich sehe diesen französischen Film und habe so unfassbar Angst. So einsam, wie ich mich seit einer Weile fühle, wie lang kann sowas gehen. Das Träumen von “dann”, wenn ich eine Gemeinschaft habe, meine eigene kleine Familie. Wann ist das. Es fühlt sich an, als würde täglich heiße Lava aus meinem Herzen fließen. Das Herz war so voller Lava, als ich vor zehn Jahren von Zuhause ausgezogen bin. “Bei mir wird alles anders laufen.” Das Herz ist so viel leerer geworden im letzten Jahr.
Ich sehe diesen französischen Film und denke an meine Familie, mit der ich all diese Sachen als Kind erlebt habe. 10 Enkel, die wöchentlich aufeinander treffen, Geburtstagsfeste im Garten mit der Hollywoodschaukel und dem großen Apfelbaum, nackig baden im See, Männer auf dem Fußballplatz, Frauen, die den Tisch decken, meine Cousine und ich, die sich auf der Wiese prügeln, die Kumpels von meinem Opa, die mit Bier bedient werden wollen, der Playboy-Kalender in der Garage, auf den wir heimlich mit Dartpfeilen zielen, das Luftgewehr, die Wiese, das Blumenbeet, der Tannenbaum vor der Tür, der immer größer wird, die Schlumperklamottenkiste für die Kinder zum Toben in der linken Tür neben der Garage, die Oma mit den langen dunklen Haaren, die Katzen, der Sandkasten, die klapprigen Fahrräder aus der Scheune, die Hühnersuppe, der alte Holzschlitten, der modrige Dachboden, die Kletterausflüge in der Sächsischen Schweiz, das Paddeln in der Wesnitz, das Rumstreunen im alten Pionierhaus, das Inlineskaten an der Elbe, die Bude im Hinterhof. Die Wiese, die Wiese, die Wiese.
Ich sehe diesen französischen Film und muss unfassbar weinen. Tausend Bilder von meiner Kindheit kommen mir in dem Kopf. Zu jedem Bild der Geruch, der Klang, die Farben, die Personen, die Erinnerung. Das Bild von meinem Schreibtisch im Kinderzimmer, auf dem ich überall kleine Notizen reingeritzt, unzählige Bilder gemalt, Geschichten aufgeschrieben, Kastanienfiguren gebastelt, Figuren geknetet, gefundene Dinge zusammengeklebt habe. Die Werbung von heute zeigt Kinder, die Bilder auf Ipads malen und ihren Eltern per Mail schicken. Mein 10 Jahre jüngerer Bruder hat seine Jugend auf Facebook verbracht. Ich verbringe den Freitagabend allein mit Laptop im Bett.
Ich sehe diesen französischen Film und habe so unendlich Panik, dass mir das Gefühl für das Leben da draußen entgleitet, dass mir nur die Sehnsucht danach bleibt und das Träumen vom “später”, vom “Wir”, wie es sein könnte, wenn es schon so wäre. Müde klappe ich den Laptop zu und schlafe ein und träume von Wiesen. Morgen werde ich mal wieder rausgehen.

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