IMMER WIEDER SONNTAGS

7.30 Uhr: Sonntagmorgen, zu Besuch bei meiner Schwiegermutter. Ich schleiche mich aus dem kleinen Bett, um im Wohnzimmer noch eine Stunde für mich zu haben, bevor die drei Männer, mit denen ich die Nacht verbracht habe, den Tag beginnen. Die Chance, dass ich in zehn Minuten jemanden leise grunzen höre, der in Seestern-Position darauf wartet, von mir an die Brust genommen zu werden, beträgt 95 Prozent. Während ich ihn hochnehme und dabei so leise wie möglich versuchen werde, die anderen beiden nicht aufzuwecken, wird sich auch der Zweite aus dem Bett erheben und den Tag mit dem Befehl „Mummy Cuddle!“ beginnen. Einer der drei Gurken wird liegenbleiben und keinen Mucks von sich geben,  zumindest bis er sicher ist, dass ich mit den anderen beiden den Raum verlassen habe. Es ist das braveste meiner Kinder, das, was am längsten schläft – mein Mann.

7. 45 Uhr: Statt mir heißes Wasser aufzukochen und ein paar Yoga-Übungen zu machen, wie ich es mir jeden Abend für den nächsten Morgen vornehme, sitze ich zerknautscht wie eine alte Zwiebel mit dem Laptop auf dem Sofa und frage mich, wer eigentlich diese Frau ist, die ihren Mann ihr Kind nennt (persönlicher Albtraum Nummer Eins) und die einen schlechtsitzenden rosafarbenen Plüschmantel trägt (persönlicher Albtraum Nummer Zwei). Und die den Tag damit beginnt, den Laptop aufzuklappen und Artikel über erfolgreiche Menschen zu lesen, statt sich um sich selbst zu kümmern und mal wieder die Haare zu waschen, Zähne zu putzen oder eines der anderen Dinge zu erledigen, die erfolgreiche Menschen bestimmt noch vor dem Morgengruß erledigen.

Ich lehne mich zurück, und während nebenan noch Stille herrscht, startet in meinem Kopf das Gedankenkarussell. Seit das Baby da ist und dazu mein Zweijähriger rumturnt, mache ich an jedem Abend, den ich einfach nur überlebe, drei Kreuze. Die Dusche sieht mich maximal zwei Mal die Woche von innen. In der Badewanne, in der ich dachte, jeden Abend zur Entspannung zu liegen, sitze ich manchmal ungefüllt tagsüber drin, um die Hände über den Kopf zusammenzuschlagen und zu heulen. Das Babyalbum, das ich beim ersten Kind zu dem Zeitpunkt schon stolz mit ersten Erinnerungen gefüllt hatte, prangt seit der Geburt des zweiten so provozierend unberührt auf dem Küchentisch („Heb mich hoch! Schreib in mich rein!“), dass ich es wütend in eine der Umzugskisten knalle, die sich in der Wohnzimmerecke stapeln (die kleine Zweiraumwohnung ist für zwei Kinder also doch viel zu klein…).

8.00 Uhr: Aus dem Schlafzimmer regt sich noch nichts, dafür sitzt mittlerweile meine ghanaische Schwiegermutter in ihrem Sessel. In der Hand eine heiße Tasse abgekochtes Wasser, den Blick auf die Bibelsendung im Fernsehen gerichtet. Sie sieht zufrieden aus. Ich stelle mir vor, wie es generell nur zwei Typen Frauen gibt: die, die direkt am Laptop sitzen, sich irgendwelchen Mist durchlesen und selbstzerstörerischen Gedanken nachgehen und sich immer wieder vornehmen, den nächsten Tag mit heißem Wasser und Yoga zu beginnen. Und die, die sich abends nichts vornehmen und morgens aufstehen und erstmal Wasser kochen.


8.36 Uhr: Die Wohnzimmertür geht auf und mein Mann kommt mit dem Baby auf dem Arm rein. „Can I handle him someone over?“. In zwei Minuten wird auch der Große reingelaufen kommen und ich werde ungewaschen und ohne heißes Wasser getrunken zu haben, den Text hier unterbrechen, um meinen mit Mutterpflichten prall gefüllten Alltag zu beginnen. 
Bevor ich aufstehe, werde ich noch kurz an des Leben vor meinen Kindern denken, das aus Redaktion, Nächte mit Freunden auf dem Balkon, Einladungen zu Vorträgen, heißen Dates und monatlichen Kurztrips bestand und es wird mir so vorkommen, als wäre es die beste Zeit meines Lebens gewesen. Und da können mir jetzt alle Instagrambloggermütter sonst wie kommen, Freiheit und Leidenschaft hören mit dem Zeugen der Kinder erstmal auf. Schön für jeden, für den es sich anders anfühlt. Bei mir ist stattdessen schlechte Laune an der Tagesordnung, weil die Liste an Dingen, die gemacht werden müssten, unendlich und unbezwingbar wird. Und die dafür strapazierten Nerven immer dünnhäutiger werden, weil man nicht durchschlafen kann und von Zwergen herumkommandiert wird.

Doch dann werde ich mich wieder an all die Ängste und Zweifel von damals entsinnen, ob ich jemals einen Mann finden werde, den ich nach drei Jahren Beziehung immer noch begehre und ob ich jemals Kinder haben und die Ronja Räubertochter-Mutter sein werde, die ich schon immer so gern sein wollte. Scheiße, hatte ich Angst. Und dann bekommt man das, was man sich gewünscht hat, ohne es bewusst zu bemerken. Und man vergisst, wie glücklich man sich schätzen kann, weil die Träume von gestern so oft von den Sorgen von heute überlagert werden.

Wenn ich heute in den Spiegel schaue, sehe ich eine Frau, die mir oft fremd ist, die sich selten sexy und oft alt fühlt. Doch wenn ich morgens in das Bett mit den drei Männern drin blicke, spüre ich, dass mein Herz voll ist und darin all die Liebe, die ich mir immer für mich gewünscht habe. Und der Rest sind Optimierungsmöglichkeiten und keine Herzenswünsche und es ist so egal, ob ich morgens heißes Wasser oder Tonnen Kaffee trinke oder meine Haare heute gewaschen sind, die ersten Jahre mit Kindern sind einfach hart. Aber die Gefühle, die einen durchströmen, wenn sie lachen oder schlafen, sind unbezahlbar und Hauptsache ist doch, wir halten zusammen.

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