Zum Abschied kurz nach meinem 1. Geburtstag bekam ich liebevolle Kritzeleien ins Babybuch, die ich seither am Vatertag gern anschaue. Das Künstlerische wäre von ihm, hörte ich mein ganzes Leben. Genauso wie die starken Knochen und die Neigung zu dünnem Haar. Bevor er ging, betrog er meine Mutter im Urlaub, während sie mich schlafen legte. Zeugte ein Dorf weiter kurz nach der Trennung neue Leben, wechselte die Straße, wenn er uns sah, sie den Kinderwagen mit mir drin schiebend, den Blick gesenkt. Gab mir Wein zu trinken und Leonard Cohen zu hören, als ich ihn mit 13 aufsuchte, nur Papa durfte ich ich ihn nicht nennen. Als kurz darauf ein Schlagzeugset bei uns abgegeben wurde für mich, war die Entscheidung klar: ich brech die Schule ab und zieh zu ihm. Er hatte mittlerweile die zweite Familie hinter sich gelassen hat und lebte mit neuer Freundin, drei Jahre älter als ich, mit Band und Weinladen in der coolen Stadt, in die ich immer wollte – wie toll könnte meine Pubertät sein. Was mich damals davon abgehalten hat, zu ihm zu gehen, weiß ich nicht. Das Bewahren von einem noch größeren Kollateralschaden vielleicht. Später, mittlerweile 18, selbst in der coolen Stadt lebend und ihn öfter kontaktierend, fiel mir auf, dass er mir nie in die Augen schaut. In seinem Buch, das angeblich niemanden darstellt, den er kennt, das ist ihm wichtig, zu betonen, lässt er mich mit einem seiner Künstlerkollegen schlafen. Statt sauer zu sein, sexualisiert zu werden, bin ich verunsichert. Was stimmt nicht mit mir? Mache ich es schlimmer, als es ist? Bin ich zu sensibel? Geliebt habe ich ihn immer. Das Gefühl, seine Tochter zu sein, bleibt.
Der Therapeut, bei dem ich sitze, seit ich Mutter geworden bin und plötzlich die Wut hochkam, wiederholt, ich wäre bedürftig, nicht kompliziert – verständlich aufgrund vergangener Erlebnisse. Ich denke oft, er übertreibt oder: was soll das Selbstmitleid? Für Wut ist hier kein Platz, das dritte Kind ist unterwegs! Doch die Wut ist trotzdem da. „Das Kind in dir muss Heimat finden“ wird von allen Seiten empfohlen. Ich werde es lesen und angehen, dem kleinen Mädchen in mir zuliebe. Der Wut Raum geben. Sie zulassen. Und dann zieht hoffentlich Friede ein.
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