SCHATZ, ICH KANN DIR MIT DEN KINDERN NICHT HELFEN, ICH HABE HUSTEN

Freitagmorgen, Aldi Parkplatz, irgendwo am Rand von Marzahn. Ich stelle mein Fahrrad ab, mein 2,5- jähriger Sohn und sein 13-monatiger Bruder sitzen mit triefender Nase hinten im Anhänger. Eine Frauenstimme ruft aus einem grauen Polo: „Sie wissen schon, dass Sie hier auf einem öffentlichen Parkplatz stehen?!“ Der Anhänger steht auf einer Parklückenmarkierung, da der Fahrradbereich nicht für Angelegenheiten wie unsere (Frau-allein-mit-zwei-kranken-Kleinkindern-ohne-Auto-beim-Wocheneinkauf) ausgelegt wurde. Es ist Ende April, wir haben 30 Grad Celsius, meine Kinder seit Wochen eine starke Erkältung und der Kühlschrank ist leer. Rechts und links reihen sich zahlreiche freie Parkplätze. Ich trotz Schnappatmung noch ganz in Englandmanier: „Wenn Sie mich freundlich fragen, mache ich gern Platz.“ Frau: „Dann haben Sie mich noch nicht wütend gehört. Ich fahre jetzt los.“ Mit einem Ruck setzt sie an und rollt auf uns zu. Willkommen in Berlin!

Zurück daheim werfe ich einen Blick in das leere 160 Quadratmeter Haus, das ab jetzt unser neues Zuhause werden soll. Und fühle mich ganz verloren darin. Da hilft auch der Anblick unseres Hab und Gutes in der hintersten Ecke nicht, das die zwei cleveren Polen gestern für 800 Euro aus dem LKW vor unserer Tür abgeworfen haben. Dass gestandene Speditionsunternehmen dafür gern mehr als das Dreifache veranschlagen, hat meinen Freund nicht verwundert. Bis er mein Gesicht gestern sah, als die Zwei mit ihrem viel zu großen Laster in unsere viel zu kleine Einfahrt fuhren und meine heiß geliebten Vintage-Teile damit zwar den Weg von London aufs deutsche Dorf geschafft hatten, aber eben nur halbe Spiegel, gerissene Leinwände und mit nur drei Tischbeinen statt Vieren.

Er ist wütend auf die Polen und ich auf den Afrikaner, der den Scheiß eingerührt hat und keine Verantwortung übernimmt. Ich schon weniger britisch: „Wenn du so wenig dafür zahlst, musst du zumindest checken, ob die das Zeug auch ordentlich verpacken, verdammt!“ (Oder eher: „What the fuck! Are you really that stupid! I want a man, not a third child!“) Ich laufe wie ein Tiger im Zoo auf und ab und spreche laut zu mir selbst. Er schaut mich an und ich weiß schon, was jetzt kommt. „Honey, I am sorry, es war doch keine Absicht.“ Und ja, wir machen alle Fehler. Aber die Masche zog nur bei einem Kind und viel Sex und als bei seinem Lachen für mich noch die Sonne aufging und die Welt still stand. Nach Geburt Nummer zwei und Länderwechsel und neu angemeldeten Selbstständigkeit, braucht er eine neue Taktik, um mich nach so einer Nummer wieder runterzuholen.

Zwei Geburten, meine neue Selbstständigkeit und ein Länderwechsel haben ihre Spuren hinterlassen und ich fange an, die Umsetzung des Planes, dass unsere Aufgabenteilung hier ausbalancierter wird (nicht mehr er 100 Prozent Job und ich 100 Prozent Haushalt und Kinder, sondern beide 50/50) anzuzweifeln. Der neue Alltag hier zeigt, dass sich mein Freund auch in Deutschland nach einem langen Arbeitstag auf eine warme Mahlzeit freut und sich trotzdem für einen modernen Mann hält. Dass, auch wenn er es nicht sagt, sein unbefristeter Job mehr zählt als meine Selbstständigkeit, weil er im Jahr eine Null hinten mehr dran nach Hause bringt als ich. Dass der ganze Einkauf-Koch-Wäsche-Scheiß immer noch bei mir hängen bleibt, weil er dafür, dass wir nun in einem Haus wohnen, zwei Stunden täglich unterwegs sein muss und danach alle ist. Auch wenn ich mir eine Stunde im Zug traumhaft vorstelle im Gegensatz zu all dem Mist, den niemand machen will, der jeden Abend auf mich wartet.

Nachdem ich mich eine Woche im Alleingang um unsere kranken Kinder kümmere, all‘ meine Abgaben und Termine verpasse, und in der Zeit scheinbar nicht existiere, zähle ich die Stunden zum Wochenende, damit er mit hilft. Doch wer kommt mit „ganz hohem Fieber“ (38 Grad) heim und legt sich direkt ins Bett? Ich weiß nicht, ob ich lachen oder kotzen soll, renne stattdessen in den neuen Haushaltsraum, knalle die Tür zu und schreie so laut ich kann. Dafür sind die Dinger für all die frustrieren Hausfrauen auf dem Dorf also da. Als ich wieder rauskomme, meint mein Dreijähriger, „Mama, das mag ich nicht“ und ich muss alle Kräfte in mir mobilisieren, zu unterstehen, ihm zu erklären, was ich an meiner Wahl seines Vaters gerade nicht mag.

Es ist 20 Uhr, die kranken Kinder wollen nicht schlafen und ich schaue verzweifelt auf die Uhr, die sagt, dass ich noch 12 Stunden Zeit habe bis zur nächsten Kolumnen-Abgabe. Und denke an den alten Mann vor ein paar Wochen, der erst meinen mit Steckzaunbrettern vollbeladenen Buggy und dann mich anstarrte und meinte, „Sie dürfen nicht so viel tragen, Sie sind doch eine Prinzessin.“ Schultere ich mir in dieser Beziehung zu viel auf? Wo fängt Gleichberechtigung in einer Partnerschaft an und wo hört das Ignorieren der eigenen Bedürfnisse auf?

Mir dämmert, dass meine neue Challenge gar nicht der raue Umgangston der Leute hier ist, sondern meine wirkliche Herausforderung liegt gerade oben mit Männergrippe im Bett. Und deshalb muss ich, die sich seit Tagen selbst mit starker Erkältung plagt, aber natürlich trotzdem funktioniert, diesen Mann dort oben jetzt aufwecken gehen, damit er seine „Ich-nehme-keine-Medikamente, mein-Körper-braucht- einfach-nur-Ruhe“-Egonummer abbläst, verdammt nochmal eine Aspirin und mir die Kinder abnimmt und ich meine Kolumne fertig bekomme, sonst überfahre ich in zehn Jahren noch komplett frustriert wie die Alte vorm Aldi kleine Kinder.

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