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Nacht der Solidarität

Gestern Abend ging nichts mehr. Der Heimweg nach dem Schreibkurs läuft an guten Tagen fließend, zieht sich an schlechten Abenden grimmig aufs Handy starrend, weil 3x die S-Bahn knapp verpasst. Die Laune sinkt, in der letzten Sbahn schlaf ich ein, werde Endstation aufgeweckt, setz mich aufs Rad und düs bei Wind und Regen und Kälte heim. 10 Minuten später ein warmes Haus, in dem ich zusammenbrechen, ankommen und wieder zu Kräften finden kann.

Im Kopf Tobi. Tobi betritt von Neukölln zum Ostkreuz das Abteil und spricht ruhig mit sanfter Stimme. Höflich sich erst als obdachlos mit Namen Tobi vorstellend, danach zaghaft nach einer kleinen Spende bittend, es wird eine kalte Nacht, gern auch in Form von Essen oder Trinken. Tobi verlässt das Abteil mit 50 Cent und zwei Pfandflaschen, bedankt sich und es spricht echte Dankbarkeit aus ihm heraus.

Als Teenager hab ich die besoffenen Punks vorm Edeka verabscheut, „hey Kleene, haste nen Euro? Na komm, schon!“. „Geh arbeiten, du Honk!“ Denen hast du aus 10m Entfernung angesehen, dass sie pünktlich 18 Uhr nachhause gehen.

Die würden auch heute keinen Cent von mir bekommen, es ist immer der Ton, der die Musik macht. Und Tobi, der ist höflich, drängt sich nicht auf und ich frage mich, ob die anderen das genauso sehen und ihn unterstützen und ob so eine Art als Obdachloser dich weiterbringt. Im Job ganz sicher nicht, den verlieren viele genau, weil sie so freundlich sind und nicht auf den Tisch hauen im entscheidenden Moment. ‚Nobody is perfect‘ auf Sat1 wird abgesetzt, weil zu viele klare und herzliche Worte, die in Ruhe ausgesprochen werden müssen, um bei den Teilnehmern anzukommen. Die meisten wollen laut und grell und Ruhm und Reichtum oder komplett asozial zum besserfühlen.

Ich werde öfter über meinen Ton nachdenken, nehm ich mir vor, während ich auf dem warmen Fußboden liege. Und über Tobi, der ein Vorbild an Freundlichkeit für diese Gesellschaft ist, der bestimmt auch viele andere inspiriert und der zu 99 Prozent gerade friert.

PS: Gestern Nacht wurden erstmalig alle Obdachlosen Berlins in der ‚Nacht der Solidarität‘ von rund 2700 Freiwilligen gezählt und zu ihrer Situation befragt.