Da sitze ich an meinem Schreibtisch und versuche zum 25. mal den Recordknopf der Kamera zu drücken, um das erste Video meiner neuen Online-Schreibwerkstatt aufzunehmen. Es geht nicht, es will nicht. Zu gestellt. Zu unnatürlich die Situation. Ich kann nicht zu anderen in eine Kamera sprechen und so tun als wäre das für mich normal. Ich fühle mich bekloppt dabei und von einer Sekunde auf die andere wie das kleine Mädchen, das sich stundenlang im Hof versteckte, um ja nicht in den 3. Stock zu müssen, wo niemand ein fröhliches Hallo hat, geschweige denn eine Umarmung, stattdessen vernichtende Vorwürfe, im Selbstgespräch in der 3. Person geführt, wissend, dass ich auf dem kalten Ofen hockend jedes Wort davon hören kann. Warum der fast immer kalt war, habe ich nie verstanden, bei Oma und Opa stapelte sich das Holz und der Ofen war immer an, die Wärme fühlte sich so gut und heimelig an. Ich bin bei dem Mädchen und dem Schamgefühl, das sie von frühesten Tagen begleitet, nie wissend, ob das von ihr Ausgesprochene angenommen wird. Meine Kindheit und Jugend daheim glich einem Minenfeld, voller Unsicherheit, wann es wieder explodiert – das habe ich erst viel später verstanden. Warum eine 33-jährige Frau, die zigmal vor hunderten Menschen referiert hat und seit über einem Jahr eine beliebte Schreibwerkstatt leitet, die das beste Feedback der Welt bekommt jetzt trotzdem voller Zweifel und Komplexe vor dieser Kamera sitzt, kann ich heute gottseidank besser verstehen. Deshalb wird der Arsch jetzt zusammengekniffen, denn ohne das Schreiben hätte ich nicht überlebt.
Und ich vermute, dass ich nicht die Einzige da draußen bin, der es so geht, auch wenn eher selten über die wirkliche innere Zerissenheit gesprochen wird. Wenn ich mit diesem Video Gleichgesinnte erreichen kann, die über das Schreiben über sich hinauswachsen können und dafür nur einen Anstupser brauchen, dann hat sich der Kampf doch gelohnt. Die meisten, die gut schreiben, reden nicht so gern. Wenn dann tiefere Gespräche, Smalltalk bedeutet Stress. Also werde ich jetzt in die Linse labern und mich am Anfang blöd dabei fühlen, aber Hauptsache, es kommt bei den Schreibaffinen an.
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