tagebuch einer fehlgeburt

Montag.
Seit heute weiß ich, dass ich schwanger bin. Gestern Abend kam ich vom Essen mit meinen Eltern. Es ging um meine geplante Auswanderung. In wenigen Wochen geht es nach London. Zu meinem Freund, den ich ein Jahr zuvor am letzten Tag vom Thailand-Abenteuer kennengelernt habe. Montagmorgen mache ich einen Schwangerschaftstest, den ich am Freitag gekauft habe, weil meine Tage nicht kommen. Nur obligatorisch, man weiß ja nie. Wird bestimmt an der Grippe liegen, wegen der ich jetzt eine Woche im Bett lag, dass die nicht kommen. Der Wecker klingelt, ich gehe ins Bad, mache mich fertig und vergesse, dass ich zwei Stunden vorher wach geworden bin und auf den Test gepinkelt hab. Im Vorbeigehen auf dem Weg zur Arbeit schaue ich drauf. Und sehe zwei Streifen. Moment mal, das kann doch nicht sein. Scheinbar doch.

Immernoch Montag.
Ich setze mich an den Küchentisch und rufe meine beste Freundin an. Und sage ihr, dass da zwei Streifen sind. Im Büro tue ich so, als wäre alles normal. Das geht zwei Stunden gut, dann sag ich das Photoshooting ab, gehe zu meinem Chef und teile ihm mit, dass ich den Rest des Tages von Zuhause arbeiten muss. In dem Moment zum ersten Mal die Angst gefühlt, wie das gehen soll. Schwanger sein. Ich bin selbstständig, da ist nichts mit Mutterschutz. Auf dem Heimweg rufe ich Maya an, die sich unheimlich freut und gehe zum Frauenarzt und kann es nicht erwarten, das Baby in mir drin bestätigt zu bekommen. Er meint, dass man noch nichts sieht und ich am Freitag wiederkommen soll. Vor der Praxis wartet Kate. Wir gehen Kakaotrinken und Strumpfhosen einkaufen und ich fühle mich ganz weich und schön. Abends rauche ich die letzte Zigarette. Vorm Zubettgehen finde ich ein leeres Buch, das meine Kollegin mir mal geschenkt hat, schreibe stolz Babybuch drauf und schlafe ein.

Dienstag.
Seit gestern habe ich noch zwei weitere Tests gemacht. Beim letzten waren die zwei Streifen richtig stark. Es gab ein paar weitere Bekanntmachungen. Beim Kaffeetrinken mit Kate und den anderen. Ich habe es ganz schnell und kurz und schmerzlos gesagt und es gab keine Umarmung danach oder so. War sehr seltsam. Die restliche Zeit verbringe ich im Bett, gehe spazieren oder telefoniere mit dem baldigen Vater meines ersten Kindes. Wir tasten uns so langsam ran.
Abends sind die Mädels da und wollen ausgehen. Ich sitze mit am Tisch, trinke nicht mit, was niemand außer Kate mitbekommt, weil alle so in Feierlaune sind. Mir fährt ein Stich durch Mark und Bein und ich frage mich, ob dieses Leben jetzt von 100 auf 0 vorbei und ich raus bin. Schon seit Wochen würde ich am liebsten nur mit Josh meine Zeit verbringen, wäre er nicht 2500 Kilometer weit weg. Sie ziehen los und ich bleibe allein zurück und fühle mich wie in Watte gepackt und lege mich ins Bett.

Mittwoch.
Jedes Mal, wenn ich auf Toilette gehe, habe ich Angst, hinterher reinzuschauen, dass ich Blut drin finde. Mein Bauch zieht. Ich habe Angst. Aber ich will mich doch freuen. Die Badewanne hilft und nachdem ich mich eingekuschelt habe, schlummere ich abends bestens ein.

Donnerstag.
Morgen kommt dein Papa. Ich kann es nicht erwarten. Und frage mich, was durch seinen Kopf geht, wie krass das sein muss, was er wohl denkt seit Montag.
Gestern klang er mehr als süß am Telefon. Sobald ich das Wort „Baby“ aus seinem Mund höre, geht’s mir gut. Ich hab Mel von dir geschrieben, vorher hin und her überlegt, aber ich wollte ein ehrliches Freuen ohne grübeln. Ihre Reaktion war so schön.

Ich hab oft Angst und bin die ganze Zeit angespannt. Wenn es zerrt im Bauch. Jedes Mal, wenn ich pinkeln gehe, schaue ich danach ins Klo. Es ist ein wahnsinniges, nervenaufreibendes Gefühl. Ich hoffe so sehr, dass du dich bei mir wohl fühlst. Du bist auf alle Fälle mehr als willkommen!

Mit der Arbeit werde ich auch eine Lösung finden. Mir geht es schon besser, aber kann ich das jeden Tag acht Stunden durchziehen? Sind diese Krämpfe nonstop normal? Mir ist so schwindlig und schlecht, mich könnten keine hundert Pferde ins Büro ziehen heute. Ich muss meinen Chef anrufen. Josh meint, ich soll was Frauliches erzählen, warum ich nicht zur Arbeit kann, damit sind Männer überfordert und dann wird er mir nichts Böses wollen.

Jetzt weiß ich seit vier Tagen von dir und ich bin jeden Tag glücklicher darüber. Dein Herz schlägt schon, sagt meine neue App, ich kann es nicht erwarten, es am Freitag beim Arzt zu hören. In den fünf Tagen später ist bestimmt viel passiert.

Freitag.
Hey Baby. Ich kann gerade nur für dich beten. Dass es dir gut geht. Das alles so kommen wird, wie es soll. Ich muss es komplett offen lassen. Ich sende dir all meine Liebe und noch mehr. Ich bin mir unsicher, ob ich mich schon von dir verabschieden soll, damit es dir leichter fällt. Oder ob ich für dich kämpfen soll, an dir festhalten, dir zureden, dass du bleiben sollst.

Der Arzt hat dich nicht in der Gebärmutter gefunden, sondern vermutet dich am Eierstock. Das kann daran liegen, dass ich meinen Zyklus falsch eingeschätzt habe und du gerade hochwanderst, wahrscheinlicher ist, dass du dich nicht richtig entwickelt hast und dort, wo du gerade steckst, nicht wegkommst. All zu lang solltest du dort nicht bleiben, dann wird es für uns beide zu gefährlich. Was soll ich tun? War das unsere gemeinsame Zeit? Wir sind danach spazieren gegangen, Stunden und Stunden. Wir hatten das „Sind wir bereit für ein Baby“-Gespräch, dass wir vorher nicht hatten.

Der Arzt meint, aufgrund der festgestellten Hormonprozente wäre es noch nicht gefährlich und besser ist ein natürlicher Abgang. Ein operativer Eingriff wird für Montag geplant. Ich liebe dich, egal was jetzt passiert und bin bei dir. Deine Mum

Samstag.
Josh päppelt mich auf. Plötzlich kann ich wieder durchschlafen, muss morgens nicht brechen. Dieser Mann macht mich so glücklich und ich weiß jetzt noch mehr, als vorher, dass ich auf ihn zählen kann. Dass er dabei ist. Dass er da ist. Nach all den Monaten durchstehen wir dieses Erlebnis. Ich weiß jetzt noch mehr, als vorher, dass ich auf ihn zählen kann.

Sonntag.
Hallo Baby,
gerade gehst du. Es sollte noch nicht sein. Ich sitze auf Toilette und sehe den blutigen Ballen und weiß, dass du irgendwo da drin bist. Es waren anstrengende Wochen. Für dich und für mich. Aber auch wunderschöne. „It doesnt matter if u decide to stay or leave, we love you, but its very important right now, that your mum is okay“, hat Josh in dem Auf und Ab der letzten Tage auf meinen Bauch geflüstert. Als ich ihn am Flughafen verabschiede, wissen wir, dass der Blutwert vom nächsten Tag entscheiden wird, in welche Richtung es geht.
„So – we won’t have a Baby“, sagt er am Telefon, nach ich ihm vom Ergebnis berichte.

Wir haben uns beide von dir verabschiedet. Wir haben dich geliebt. Diese Liebe bleibt, nimm sie mit auf deine Reise. Ich vermisse dich und danke dir für unsere kurze gemeinsame Zeit.

Deine Mummy

Einen Monat später.
Jetzt ist es vier Wochen her und ich blute wieder. Und verfluche alles und jeden, wiege mehr als vorher, hasse alle, weiß nicht, wo hinten und vorne ist, könnte nur kotzen, wie voll ich mein Leben gefüllt hab, war das der Grund, dass du nicht bleiben wolltest?! Voller Aufgaben und Druck und wo mir der Leichtsinn abhanden gekommen ist. Ich will nicht, dass es vorbei ist. Ich habe mir dieses Baby so gewünscht, auch wenn es überraschend kam. Es wollte nicht bei mir sein. Es sollte nicht sein. Was soll man da denken. Mit 21 habe ich eins abgetrieben, jetzt mit 28 geht das Baby freiwillig in der 7. Woche. Jeder weiß, dass Hass und Angst und Frust und Neid nichts bringt. Jedes Kind weiß das. Ich weiß gerade nichts mehr. Ich will nur eins wissen: wann kommt mein Baby?

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