WIR SIND DANN MAL HIER – VON KITA-FERIEN UND ANDEREN KATASTROPHEN

Nächste Woche beginnen die großen Sommerferien, erfahre ich so nebenbei im Gespräch mit Freunden, die schon ältere Kinder haben. „Habt ihr ein Glück, dass ihr euren Urlaub noch planen könnt, wann ihr wollt.“ Äh ja, genau, großes Glück. Ist ja auch nicht so, dass ich das Thema sechswöchige Ganztagsbetreuung in Form von Ferienlager und Oma-und Opa-Wochen nicht erwarten kann. Der angebliche Vorzug, mit einem Dreijährigen und seinem einjährigen Bruder mehrwöchige Urlaube außerhalb der Ferienzeiten zu planen, ist für mich nicht ganz so ersichtlich – besonders heute Morgen. Schließlich hat sich der gestrige Nachmittag voller Streitereien wieder mal sehr lang gezogen und beim Einschlafen lief es auch stundenlang nicht anders.

„Schönen Urlaub!“ wünscht mir die Erzieherin, als ich die Räuber nach zweistündigem morgendlichem Machtkampf zu Hause zu meiner Lieblingszeit des Tages, nämlich um 9 Uhr, in die Kita bringe. Okay, ich sehe mal wieder echt fertig aus und für gewaschene Haare, ein gut sitzendes Kleid oder Make-Up hat es mal wieder nicht gereicht – aber muss man denn so direkt sagen, dass ich reif für eine Auszeit bin? Oder weiß sie was, was ich nicht weiß und mein Mann hat endlich den Rom-Trip für uns Zwei organisiert, mit dem ich ihm seit Monaten in den Ohren liege und ich werde hier gerade überrascht wie im schönsten Hollywoodfilm?

Ich starre geschockt auf den Zettel, den sie mir eine Minute später unter die Nase hält. „Urlaub Familie B.: 10. bis 28. Juni“. Sie hat sich mittlerweile zwar daran gewöhnt, dass ich jede Kita-Angelegenheit – beispielsweise Buffets vorbereiten oder für den Fototermin schick machen – vergesse, aber ihr Blick verrät, dass ich es gerade trotzdem schaffe, sie mit meiner Verpeiltheit noch zu überraschen. Woher kenne ich diesen Zettel, überlege ich verkrampft und so langsam dämmert es.

Sechs Monate zuvor hatte ich das Ding im Kita-Fach meines Sohnes gesehen. Die Jahres-Urlaubs-Planung unserer Kinder. Zwei ganze Wochen Kitafrei am Stück will die Leitung festgelegt haben. Mich befiel beim bloßen Hinschauen ein Beklemmungsgefühl, wie es sonst nur Anwaltsschreiben und Steuerbescheide verursachen können und ich machte das, was ich in so einer Situation am besten kann: den Zettel wieder zusammenfalten und verschwinden lassen.

Ein Monat später fuhr die Kitaleitung drastischere Mittel auf und legte mir eine Verwarnung ins Fach. „Erste Mahnung. Verstoß: fehlende Urlaubsplanung.“ Großer Gott, wie soll ich denn Anfang des Jahres wissen, wann ich Bock auf Urlaub habe? Und bitte wie legt man sich in diesem Leben überhaupt auf irgendwas fest, was nicht nächste Woche stattfindet. Ich krakelte irgendein Datum hin, was im kalten, düsteren Januar nach Sommer aussah und widmete mich wieder den streitenden Gurken.

Nun ist besagtes Datum also gekommen und die Erzieherin blickt immer noch fragend und ich komme so langsam aus meiner Schockstarre. „Neeeeeeeein!“ brülle ich bei der Vorstellung von zwei Wochen kitafrei. Die Gurken verschlucken sich an den fünf Trinkbechern voller Wasser, die sie am Getränkewagen mal wieder übereinander stapeln, während andere sich brav anziehen. Und ich improvisiere: „Das habe ich total vergessen. Mein Mann bekommt keinen Urlaub, hat sich ganz spontan rausgestellt. Äh, gestern. Die haben ein neues Projekt. Erzählen Sie denen mal was von Familienmodell… .“ „Ich muss nicht nur zwei Wochen planen, sondern meinen kompletten Jahresurlaub“, entgegnet sie ohne Mitleid.

Um aus der Nummer wieder rauszukommen, muss ich ganz schnell härtere Geschütze auffahren und setze auf die letzte Karte: „Ich hätte das gestern direkt mit Ihnen klären müssen. Das tut mir leid. Aber es ist leider untergegangen. Bei uns läuft es gerade nicht gut.“ Von der baldigen Single-Mum zur Erzieherin Mitte Zwanzig ohne Kinder. Das muss doch Sympathien schaffen. Auch wenn ich ab jetzt mit mitleidigen Blicken und mein Mann vermutlich mit Flirtoffensiven rechnen muss. Den Preis ist es mir wert. War ja auch wirklich nicht leicht zwischen uns, in letzter Zeit.

Ich renne hoch zur Leitung und versuche meinen Albtraum, ab nächsten Montag allein zwei Wochen auf meine Kinder aufzupassen, mit viel Überredungskunst und ganz viel Schleim zu entgehen („Diese Bambus-Hütten, die sie neu aufgestellt haben auf dem Spielplatz, die sind sooo geschmackvoll!“ „Ja danke, die haben wir seit fünf Jahren. Die Urlaubsplanung ist aber durch.“) Ab heute Nachmittag ist also Urlaub – ob ich das will, oder nicht.

Erschüttert fahre ich zu meinem ersten Termin beim Beautydoc, um 30 Euro dafür zu zahlen, dass er mir erzählt, wie ich nach zwei Stillphasen meine Brüste straffen lassen kann. Er scannt mich von oben bis unten kurz ab, nennt mich Bridget Jones und meine Brüste nicht eingriffsbedürftig. (Yeah!) Aber wenn ich sie so stramm wie mit 20 haben will, könnte ich in ein paar Monaten wieder kommen, wenn die Frustkilos runter sind und ich nicht mehr so gestresst bin. „Ein Urlaub kann nicht schaden?“

Leicht geschockt sitze ich im Auto und rauche eine Zigarette. Bridget Jones. Geht’s noch? Da piept das Handy mit einer Ereigniserinnerung, die ich definitiv auch über eine sehr lange Zeit ignoriert habe: der Muddy Angel Run. Stimmt ja, bei dem Fünf-Kilometer-Schlammlauf, der laut Handy schon nächsten Samstag stattfindet, hatte ich mich im März hochmotiviert den Mädels aus dem Sportkurs angeschlossen. Das sollte der Startschuss sein für einen Diät-Countdown vorm Urlaub. Konnte ja keiner wissen, dass mir eine mehrmonatige depressive Phase mit sechswöchiger ambulanter Therapie, Antidepressiva, absoluter Bewegungsuntauglichkeit und zehn Kilo mehr dazwischen kommt. Und ich die letzten Monate Serie guckend auf dem Sofa, statt joggend über die Felder verbracht habe. Von der vergessenen Urlaubsplanung ganz zu schweigen.

Meine „absolut okayen“ Brüste und Bridget Jones fahren nach Hause und gehen die Urlaubsplanung an. Die letzten Monate waren hart, aber wenn ich genau hinschaue, befinde ich mich auf verschobene Weise im Hier und Jetzt und habe schon seit geraumer Zeit keine Sehnsüchte mehr, direkt abzuhauen. Das monatelange Ackern an Haus und Garten hat sich letztes Wochenende zum ersten Mal ausgezahlt. Die depressive Phase ist vorbei, der Bambuszaun und die Wimpelkette versprühen ein Stück Indonesien, der Hängesessel mit Blick in den freien Himmel die Welt.

Früher mit einem Kind wochenlang Backpacking auf Bali, letztes Jahr mit zwei Kindern All-inclusive auf Kos. Heute: Die Sonne scheint. Die Jungs sind glücklich über unseren neuen Pool. Mein Mann hat gerade erfahren, dass wir die nächsten zwei Wochen zusammen verbringen und ist offen für alles, „Hauptsache, kein Stress“. Ich leihe von meinen Eltern das Campingzeug aus, falls wir mal an den See wollen. Und ansonsten: Wir sind dann mal hier.

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